Schon mit dem Titel seines Gedichtbandes, „Krähe sein“, spricht Christoph Bevier tiefe menschliche Wünsche an, steht doch das Krafttier Krähe für Leichtigkeit im Leben, ein starkes Selbstwertgefühl und eine tiefe Verbindung zu sich selbst.
Krähenangst
Diese unglaubliche Findigkeit in sich
Selbst, das Ruhen selbst im Stürzen,
Der grundlose Schrei als Freude am
Laut, die Gewissheit trotz des Sterbens
Der Bäume, die Unangreiflichkeit in
Der Eisigkeit der Luft, die Gleichmut
Im Hunger und Sattsein, nichts, was
Dich beunruhigen könnte, Krähe, außer
Der Angst, nicht Krähe zu sein.
Das Symbol der Krähe als Verbindung zwischen den Welten findet sich in vielen, ja, fast allen Gedichten – sei es der Blick vom Diesseits ins Jenseits, vom Krähentier zum Menschen oder umgekehrt, vom Jetzt zum Neubeginn oder auch Ende, vom Fensterbrett ins Weite … Aber wohin geht der Flug?
Im aufwändig gestalteten Hardcoverbuch, in handlichem 12 x 20-Format, mit Schutzumschlag, Lesebändchen und Fadenbindung versehen, finden sich zahlreiche, zumeist in erdigen Farben gehaltene Raben-Aquarellskizzen des Zeichners Malte Wulf, der sich lange schon zeichnerisch mit den Themen Weg, Raum und Licht auseinandersetzt. Seine Zeichnungen korrespondieren mit den jeweiligen Gedichten derart verstärkend, dass mir beim Lesen der Verse und Betrachten der Rabenbilder schon mal der Kaffee kalt geworden ist.
Die 87 Gedichte, zuweilen Fünfzeiler, zuweilen auch eine Doppelseite füllend, sind zumeist Verdichtungen in Bildern und Deutungen im Sinne lyrischer Prosa. Sie beschreiben den Blick auf die Krähe oder den Blick der Krähe auf uns, oft tiefgründig, bisweilen humorvoll und ironisch. Es finden sich Titel wie: Krähenangst, Krähe und Dylan, Krähen um 17 Uhr, Krähen unter dem Einfluss von Glockenläuten … Die nötige Feldkompetenz, sich mit Glockenläuten, Glauben, Tod und Trauer auseinanderzusetzen, hat Christoph Bevier als evangelischer Pfarrer, Pastoralpsychologe und Supervisor sicherlich. Selbstfindung ist somit möglich.
Beviers Stil ist passenderweise einfach und schlicht, manchmal jedoch irritierten mich beim Lesen ungewöhnliche Zeilenumbrüche und zwei- oder dreimal auch Fremdwörter, die ich bildungslückenbedingt nachschlagen musste, aber das habe ich gern in Kauf genommen. Beim Zuschlagen des Buches bleibed ich nicht zum ersten Mal bei den auf dem Schutzumschlag notierten Versen hängen und beziehe sie auf mich und mein Tun.
Die Laute, die über Land wehen,
Wehmütig im Bund mit der Kälte,
Früher als sonst gekommen,
Den Sinn, den du suchst, findest
Du nicht in ihnen, er ist
Nirgendwo. Die Krähen schreien.
Weil sie da sind. Das reicht.“
Beviers Gedichte, die um die mythische Figur der Krähe kreisen und sich mit Lebensthemen wie Krankheit, Tod, Glück, Gelingen, Scheitern, Einsamkeit, Glaube beschäftigen, werde ich sicherlich immer wieder einmal nicht nur zum Meditieren zur Hand nehmen.